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Duisburg, 06.06.2018

Total digital – Neue Impulse für die Einsatzkräfte
65. Jahresfachtagung der vfdb

Die Entwicklung ist eindeutig und geht weiter: Die Digitalisierung bestimmt immer mehr alle Bereiche im Brand- und Katastrophenschutz ebenso wie im Rettungsdienst. Das hat die 65. Jahresfachtagung der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) Ende Mai in Duisburg deutlich gemacht. Zugleich bestätigte die vfdb erneut ihren Anspruch als das Expertennetzwerk für Schutz, Rettung und Sicherheit. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul betonte während der festlichen Eröffnung, die vfdb stelle nicht nur Fragen, sondern bringe auch ihr Wissen und Antworten ein. „Wir brauchen immer wieder neue Lösungen für immer neue Gefahrenlagen“, sagte der Minister.

Rund 700 Teilnehmer verfolgten während der drei Kongresstage die mehr als 50 Vorträge. Begleitet wurde die Tagung von einer Fachausstellung, an der sich 45 Unternehmen und Institutionen beteiligten. Dort wurde unter anderem demonstriert, wie neueste Entwicklungen in der Praxis umgesetzt werden können. Eindrucksvolles Beispiel war der Stand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das zusammen mit der Feuerwehr Duisburg ein Projekt zur schnellen Aufklärung von Großschadens- und Katastrophenlagen gestartet hat. Dabei übeträgt eine in Echtzeit Bilder und Geodaten direkt auf einen Stadtplan in der Leitstelle. Noch vor Eintreffen der Einsatzkräfte können so wichtige Entscheidungen getroffen werden.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul betonte während der festlichen Eröffnung, die vfdb stelle nicht nur Fragen, sondern bringe auch ihr Wissen und Antworten ein. Foto © Public Security


„Digitalisierung 4.0 ist erst der Anfang“

Frankfurts früherer Feuerwehrchef, Professor Reinhard Ries, appellierte auf der Tagung an alle Verantwortlichen, sich dem Thema „Digitalisierung“ zu stellen. „Wenn wir jetzt von Digitalisierung 4.0 sprechen, ist das erst der Anfang“, sagte Ries. „Ob in Leitstellen oder Aus- und Fortbildung – wir werden uns völlig neu aufstellen müssen. Das ist längst keine Zukunftsmusik mehr.“

Mit großem Interesse verfolgten die Kongressteilnehmer die Information, dass auch Feuerwehr- und andere Einsatzfahrzeuge die Anforderungen der Euro-VI-Abgasnorm erfüllen können. Bislang noch bestehende Ausnahmegenehmigungen, die für derartige Fahrzeuge noch die EU-Norm V zulassen, sind nach Ansicht der vfdb künftig nicht mehr erforderlich. Umfangreiche Erfahrungen der Feuerwehren in Berlin, Hamburg und Hannover hätten gezeigt, dass es keine nennenswerten Leistungseinschränkungen im Fahr- und Einsatzbetrieb gebe, sagte Christoph Bahlmann von der Berufsfeuerwehr Hannover. „Wir dürfen uns der umweltpolitischen Diskussion nicht verschließen“, betonte der Leiter des für Fahrzeuge und technische Hilfeleistung zuständigen Referats der vfdb, Karsten Göwecke von der Berliner Feuerwehr. In einem Merkblatt gibt die vfdb entsprechende praktische Hinweise für die Umsetzung der Euro-VI-Norm. Das Papier ist über die Homepage (vfdb.de) zu beziehen.

Brand im Grenfell Tower: Bericht aus erster Hand

Zu einem eindrucksvollen Höhepunkt im Kongressprogramm wurde am Dienstag der Vortrag von Richard Mills von der Londoner Feuerwehr über den verheerenden Brand des Grenfell Towers, bei dem vor einem Jahr 71 Menschen ums Leben kamen. Mills war damals Mitglied der Gesamteinsatzleitung. Anhand von Bildern und Zahlen schilderte er den Verlauf der Katastrophe und die schwierigen Einsatzbedingungen. Innerhalb von Minuten hatten sich die Flammen an dem 24geschossigen Gebäude über die Fassade ausgebreitet. 200 Feuerwehrleute waren damals im Einsatz. 13 Tage hatte der Einsatz gedauert, dessen polizeiliche und juristische Aufarbeitung nach Ansicht des Feuerwehrbeamten noch viele weitere Monate dauern wird.

Dramatischer Anstieg der Einsätze im Rettungsdienst

Breite Beachtung fanden auch Vorträge zum Rettungsdienst in Deutschland, der – wie es hieß – vor den größten Herausforderungen seiner Geschichte bestehe. Darauf hatte Mathias Duschl von der European Resuscitation Akademie hingewiesen. Das Schweizer Expertennetzwerk befasst sich mit der Verbesserung von Rettungsdienst-Systemen, um mehr Menschen mit einem Herz-Kreislauf-Stilstand zu retten. Innerhalb von nur sechs Jahren seien die Einsatzzahlen der Rettungsdienste um 134 Prozent gestiegen, berichtete Duschl. Duschl sprach von einer „Überalarmierung“ der Notfallrettungsmittel. Der Rettungsdienst werde als „Feuerwehr des Gesundheitswesens“ missbraucht. Zugleich nannte er verschiedene Gründe für die Entwicklung. Um den Rettungsdienst fit für die Zukunft zu machen, sei eine grundlegende Neugestaltung der gesamten Notfallversorgung erforderlich. Notwendig seien strukturelle Veränderungen, sagte Jörg Wackerhahn, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Feuerwehren im Rettungsdienst“ (AG FReDi). „Wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter.“

Das Thema „Rettungsdienst“ gehörte zu den Schwerpunkten am letzten Kongresstag. Dabei stellte der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Oldenburg, Jörg Gellern, eine von mehreren Kommunen eingeführte Helfer-App vor. Gellern wies darauf hin, dass 72,9 Prozent aller Fälle von Kreislaufstillstand innerhalb von Wohnungen passieren. Die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes könne neben der möglichen telefonischen Unterstützung aus der Leitstelle durch Wiederbelebungsmaßnahmen von Laien erheblich verringert werden. Bislang unterblieben in fast 60 Prozent der Fälle die wichtigsten lebensrettenden Maßnahmen in den ersten fünf Minuten.

Mit Einführung der Ersthelfer-App seien im Oldenburger Raum zunächst bis zu 6.000 zusätzliche Ersthelfer registriert worden, die in Notfällen von der Leitstelle alarmiert werden. Mittelfristig sei das Ziel, bis zu 10.000 Helfer zu gewinnen. Auf die hohe Zahl der Fälle von plötzlichem Herztod wies auch Bundesfeuerwehrarzt Klaus Friedrich hin. Jährlich seien 150.000 Menschen betroffen.

Total digital – diese Erkenntnis zog sich wie ein roter Faden durch nahezu alle Vorträge. Der Bürger, der über sein Smartphone den Notruf alarmiert, der Rauchwarnmelder im Gebäude, die Leitstellentechnik, die Fahrzeuge, das Tablet an der Einsatzstelle oder die Drohne mit Kameraausrüstung – ohne Digitaltechnik ist moderne Einsatzabwicklung kaum noch denkbar.

Excellence Award für Wuppertaler Wissenschaftler

Der Wuppertaler Wissenschaftler Dr.-Ing. Benjamin Schröder hat den Excellence Award der vfdb 2018 erhalten. Der Präsident der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb), Dirk Aschenbrenner, überreichte die Auszeichnung im Namen der Stiftung SafeInno während der 65. vfdb-Jahresfachtagung in Duisburg. Dr. Schröder bekam die Auszeichnung in Anerkennung seiner besonderen wissenschaftlichen Leistung bei seiner Dissertation zu einem Brandschutzthema.

Vfdb-Präsident zieht positive Bilanz

vfdb-Präsident Dirk Aschenbrenner, der im Verlauf der Veranstaltung ebenso wie Vizepräsidentin Dr. Anja Hofmann-Böllinghaus im Amt bestätigt wurde, würdigte die Duisburger Tagung als einen weiteren großartigen Impulsgeber. „Auch diese 65. Veranstaltung hat wieder ideale Bedingungen für den Dialog zwischen Forschung und Entwicklung, Herstellern und Anwendern und damit wichtige Anregungen für künftige Entwicklungen geboten“, resümierte Aschenbrenner zum Abschluss des Kongresses.

Die nächste vfdb-Jahresfachtagung findet im kommenden Jahr in Ulm statt. (Quelle: Wolfgang Duveneck, vfdb)