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Berlin, 06.02.2014

Hilfsbedürftig und hilfsbereit – Wie die Berliner sich selbst im Katastrophenfall einschätzen

Drei Höchstspannungsleitungen versorgen Berlin mit Strom. Wie aber reagieren die Einwohner der Hauptstadt im Fall eines flächendeckenden und lang andauernden Stromausfalls? Nur Wasser- und Gaskraftwerke verfügen über eine sogenannte „Schwarzstartfähigkeit“ bei zusammengebrochenen Netzen. Die acht Partner des Forschungsprojektes „Katastrophenschutz-Leuchttürme“ haben jetzt erstmals Zwischenergebnisse ihrer Untersuchungen vorgestellt. Es gebe einen massiven Bedarf an Hilfe, aber auch hohe Erwartungen, sagt Prof. Dr. Claudius Ohder von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Erstaunt sei man über die von den Befragten geäußerte hohe Hilfsbereitschaft, „und das in einer Großstadt“.

„Bei den Heimdialysepatienten gibt es nach ca. sechs Stunden die ersten Toten“, sagt Martin Surma vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin. Der ausgesprochen bürgerliche Bezirk nimmt mit den beiden ganz anders strukturierten Pendants Mitte (in diesem Fall der soziale Brennpunkt Wedding) und Lichtenberg am Projekt teil. Begonnen im Sommer 2012 soll es bis Mitte 2015 nicht nur Forschungsergebnisse liefern, sondern mit einem Demonstrator eines „Katastrophenschutz-Leuchtturms“ auch praxistauglich gemacht werden. Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts mit einem Etat von insgesamt 2,6 Millionen Euro ist, die Ergebnisse potenziell auf alle Kommunen Deutschlands übertragbar zu machen.

Befragung im Wartesaal
Von den insgesamt zehn Arbeitspaketen sind bisher zwei abgearbeitet. Unter dem vollen Titel „Katastrophenschutz-Leuchttürme als Anlaufstellen für die Bevölkerung in Krisensituationen“ wurden insgesamt 800 Berliner Bürger befragt, wie sie ihre Situation im Falle eines Stromausfalls einschätzen, welche Hilfebedarfe sie haben und in welcher Form sie bereit wären, Hilfe zu leisten. Die Befragungen fanden unter Wartenden in den Bürgerämtern statt. Dort gebe es nun einmal ausreichend Zeit, so HWR-Professor Ohder. Die Erklärung ruft erfahrungsgesättigte Heiterkeit hervor.

Sehr aufschlussreich scheinen gleichwohl die wesentlichen Ergebnisse. Selbst nach dem mittelgroßen Blackout im Münsterland 2005 habe die örtliche Bevölkerung anschließend keineswegs mehr häusliche Vorräte für den Notfall angelegt, betont Ohders Kollegin Prof. Dr. Birgitta Sticher. Besonders gefährdet seien alte, nichtmobile Menschen, Behinderte, aber auch Touristen. Die „Vulnerabilitätstopographie“ in Berlin sehe jedoch regional ganz unterschiedlich aus. Der Bevölkerung scheine freilich durchaus bewusst, dass staatliche und Hilfsorganisationen selbst betroffen sein würden, kaum kommunizieren könnten und an ihre Grenzen stießen.

Information am wichtigsten
Etwa 42 Prozent der Befragten gingen davon aus, sich fünf Tage und länger mit Getränken versorgen zu können. Bei Lebensmitteln sind dies nur 31 Prozent, heißt es in der Studie. Auf der Basis dieser Daten sei davon auszugehen, dass nach vier Tagen erhebliche Versorgungslücken aufträten und Hilfeleistungen erforderlich würden. Am zuversichtlichsten sind die Teilnehmer, von der eigenen Familie Hilfe erwarten zu können. Zumeist lebt diese aber in größerer Entfernung oder gar nicht in Berlin. Hausmeister, Polizei, Bahnhöfe und Feuerwehr werden als bevorzugte Anlaufstellen genannt, um beim Ausfall fast aller Kommunikationsinfrastrukturen wenigstens Informationen zu erhalten. Das Informationsbedürfnis scheint überhaupt am höchsten. Für den Wissenschaftler Claudius Ohder folgt daraus, man bnötige eine gesunde Mischung verschiedener Anlaufstellen und müsse diese außerdem rechtzeitig bekannt machen.

Verwundert sind die Projektpartner, dass es wenig Sorge um Eigentumsdelikte während einer Katastrophensituation gibt. Die Bevölkerung sei offenbar relativ sicher, dass die soziale Struktur belastbar sei, so Prof. Ohder. Und über die Hälfte der Befragten sei eventuell bereit, gänzlich fremde Hilfesuchende in ihrer eigenen Wohnung aufzunehmen. Auch die Auswertung der vergangenen Hochwasserlagen habe gezeigt, ergänzt Martin Surma vom Bezirksamt, dass die Bevölkerung mitdenke und helfen wolle: „Sie ist prosozial eingestellt.“

Die dennoch nötigen Katastrophenschutz-Leuchttürme sollen künftig mithilfe einer sicheren Notstromversorgung ausgewählte Gebäude sein, die über ein Notfall-Kommunikationssystem die Information, Kommunikation und die Versorgung der Bevölkerung auch über längere Zeiträume sicherstellen sollen. Frieder Kircher, Leitender Branddirektor der Berliner Feuerwehr, schätzt deren Zahl für Berlin: „Sie hat mindestens drei Stellen.“ Zudem denke man über mobile Informationsstellen, die bestimmte Punkte abfahren, nach. (kö)

Haben sich auch nach best-practice-Beispielen umgesehen: Prof. Dr. Claudius Ohder und Prof. Dr. Birgitta Sticher, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, berichten, es gebe zwar international nicht das eine Vorbild für großstädtisches Katastrophenmanagement, aber etwa in Österreich und Dänemark gute Ansätze. (Foto: kö)

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